Es begab sich also zu jener Zeit, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, (nein, es handelte sich nicht um eine „Volkszählung“), ….. als sich Freundinnen und Freunde meiner älteren Schwester immer wieder bei uns zu Hause trafen. Dort wurde geredet, gegessen und getrunken, gelernt (bis auf letzteres konnte ich zum damaligen Zeitpunkt alles nachvollziehen) und … das war mir als kleinem Bruder der wichtigste Punkt: Gitarre gespielt und gesungen. Es gab immer einige, die diesen 4/4 „Lagerfeuer-Rhythmus“ drauf hatten und auch ein oder zwei Jungs die teuflisch gut Fingerpicking auf ihren Gitarren spielen konnten. Das fand ich sehr beeindruckend. Natürlich wurde auch gesungen was das Zeug hielt: How Many Roads, Leaving On A Jet Plane, Streets Of London, House Of The Rising Sun, If I Had A Hammer, This Land Is Your Land, Go Down Moses, Universal Soldier, Die Moorsoldaten, Where Have All The Flowers Gone, 500 Miles und und und ….. Einige der eigentlichen Urheber dieser Songs: Bob Dylan, Woodie Guthrie, Eric Burdon, Pete Seeger, Donovan und und und …

Mein eigentlicher Zugang zur Musik war allerdings ein altes Röhren-Radio mit 5 ! Lautsprechern, einem „bollenmäßigen Sound“ und einem „Perpetuum Ebener“ – Plattenspieler, auf dem man auch noch die 78er Schelllack-Platten abspielen konnte. Der Plattenspieler war aus Gusseisen und mit einem vergoldeten Hammerschlag-Lack überzogen. Darauf hörte ich zunächst einige Rock’ n Roll Singles meiner Tante. Es war auch Elvis „Pressluft“ – Musik dabei. Ich erinnere mich unter anderem an: Tutti Frutti und Blue Suede Shoes. Das muss so 1965 / 66 gewesen sein und ich war gerade mal 6 Jahre alt. Einige Jahre später stand dieser Wohnzimmer-Musikschrank in meinem Kinderzimmer, mittlerweile in Herrenberg, ich hörte meine erste Single von den Beatles, vermutlich hatte ich sie geschenkt bekommen. Auf der A-Seite war Hello-Godbye und auf der B-Seite der Titel: I am the walrus. Eine ungemein „abgespacte“ Nummer. Psychedelisch hoch 13. Im kindlichen Wahn habe ich dann kurz darauf das gute alte Röhrenradio mit dem Hammersound zerlegt, aus purer kindlicher Bastelfreude: Röhren herausgezogen, Kabel abgeknipst, Widerstände herausgeholt, die Membrane des großen Lautsprechers herausgerissen, den Magnet ausgebaut und den verbliebenen Rest als Lenkrad meines imaginären Autos verwendet. Eine Tat, die ich heute mehr bereue als manch andere, welche ich begangen habe.

Eines Tages war ich krank, ich meine so richtig krank, nicht so wie an anderen Tagen, an denen damals Kinder die guten alten Quecksilber-Thermometer an die Glühbirne des Nachttischlämpchens gehalten haben um vor Schulbeginn noch kurz die Temperatur in die Höhe schnellen zu lassen, was der Mutter ein höchst sorgenvolles Gesicht bescherte und einen Schulbesuch selbstverständlich vollkommen unmöglich machte. Ich musste also im Bett bleiben, was innerhalb kurzer Zeit sehr langweilig wurde. Damals war das so, heute wäre das nicht mehr so, mit der Langeweile. Nach dem 2. Tag ließ ich mir von meiner Schwester den Gitarrengriff: A-Moll auf ihrer alten Hopf-Gitarre zeigen. Eine schreckliche Gitarre, deren Hals nicht mit dem Korpus verleimt war, sondern von nur einer Schraube, mehr schlecht als recht gehalten wurde. Am nächsten Tag zeigte sie mir E-Moll, dann H7. SchwuppsdieWupps konnte ich „Go Down Moses“ spielen, diesen „Goschbbl-Song“, wie wir im Schwäbischen sagen. Zwar noch ohne richtigen Rhythmus, aber immerhin. Ich war sofort fasziniert, wie das klang, wenn man nur ein paar Finger auf die Saiten und die Bünde der Gitarre setzte, ich kannte den Sound ja von meiner Schwester und ihren Freundinnen und Freunden. Zugegebenermaßen taten die Fingerlein ganz schön weh am Anfang. Aber sicher auch deshalb, weil ich recht lange herumprobierte.

Also wurde ich irgendwann, es war vermutlich auch mein Wunsch, bei der städtischen Musikschule angemeldet. Mit mir waren noch einige andere, meist Mädchen, dort angemeldet. Der Gitarrenlehrer hieß Herr Patzer. Er war recht korpulent, hatte eine Glatze und man sah darauf einige eingedellte Stellen unter denen sich Metallplatten verbargen. Herr Patzer war nämlich im Krieg und hatte einige Granatsplitter abbekommen, wie er erzählte. Der war ja gerade mal seit 27 Jahren vorbei, der Krieg. In der Musikschule wurde so Humtata- Musik geübt, Marke „Heißa Kathreinerle, schnür mir die Schuh“, einer der Top-Hits war vielleicht noch: „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Was Lust ist konnte ich mit meinen 12 Jahren langsam erahnen und ab 13, 14 Jahren auch konkreter erproben, aber was zum Teufel das mit Wandern zu tun haben sollte, konnte sich mir beim besten Willen nicht erschließen. Außerdem hatte dieser Lehrer aus heutiger Sicht betrachtet, wenig Geduld und war ziemlich festgefahren in dem was er tat. Nach einem Jahr und jeweils einem Übungstermin in der Woche war dann „Aus die Maus“, Volksmusik war nicht so mein Ding.

Es war mein Vater, der einige Monate später eine Anzeige in der lokalen Zeitung las, mit dem Text: Gebe Gitarrenunterricht: Blues, Rock, Pop, Modern. Telefon: xxxxxxxxxx Er war es also, der mich wieder auf die Gitarrenfährte setzte.

Es handelte sich um Privatunterricht und ich klingelte an der Haustüre eines Wohnblocks. Ein langer dünner Typ mit Pickeln und halblangen Haaren kam heraus. Seine Eltern waren nicht zu Hause. Herbert hieß der Typ. Auch damals nicht gerade der progressivste Name. Er sah aber nicht ganz so schlimm aus wie der Name hätte vermuten lassen. In seinem Zimmer waren die damals üblichen orange, gelben und roten Farben vorzufinden. Auf dem Bett, welches als Sitzgelegenheit umfunktioniert war, lag eine Decke in eben einer solchen Farbe und sollte das Bett wohl tarnen, (was offensichtlich misslang). Darauf wiederum eine Gitarre, welche ich kurze Zeit später als Gibson Les Paul Custom identifizieren konnte. Mein neuer Gitarrelehrer hatte aber vermutlich eine Kopie einer Gibson. Damals sagten alle im Städtchen „Tschipson“, aber es hieß damals wie heute einfach nur Gibson, sprich: „Gibs’n“. Es war populär Namen zu „verjazzen“ und sie noch amerikanischer klingen zu lassen. Herbert bot mir erst mal eine Zigarette an, ich war so perplex, das ich mit meinen 13 Jahren errötete und ablehnte, obwohl ich wie die meisten meiner Freunde selbstverständlich schon rauchte. Eine Geschichte, die ich den Jugendlichen mit denen ich später hauptberuflich arbeitete, nicht auf die Nase band. (Wie so manch andere Geschichte auch). Damals war die Jugend sehr „schlimm“. Die auslaufende „Hippie-Ära“, die Nachwehen der „Flower-Power-Generation“. Im Nachhinein habe ich mich natürlich geärgert, die Zigarette abgelehnt zu haben, sollte ich doch noch 38 Jahre als aktiver Raucher vor mir haben, bis die Vernunft siegte und ich vor allem den wirklichen und notwendigen Willen hatte, mit diesem Schwachsinn aufzuhören. Aber das ist eine andere Geschichte, nein eigentlich ist es gar keine andere Geschichte. In den Musikerkreisen in denen ich mich später bewegte wurde viel geraucht, teilweise auch so orientalischen Tabak mit diesem süsslichen Duft. Es wurde auch viiieel getrunken und in der Regel keine Limo.

Auf jeden Fall durfte ich seine E-Gitarre über eine Art Radio-Plattenspieler-Kombination, immerhin schon Stereo, aber kein wirklicher Gitarrenverstärker ausprobieren. Der Ton der da aus den Boxen kam war leise und trieb mir dennoch ein bis zwei Tränen in die Augen, was natürlich komplett uncool war und ich musste das möglichst gut unterdrücken, so „geil“ war er, der Ton – um ein Wort aus der heutigen Zeit zu verwenden.

Nach 2 Wochen und damit 2 Terminen, ich hatte bereits Sympathy For The Devil von den Rolling Stones gelernt – ich wusste mit 13 Jahren noch nicht so richtig, wer die Rolling Stones waren, hatte zwar ein kleines Poster unter den vielen Postern in meinem Zimmer an der Wand hängen, vermutlich hatte ich es von einem älteren Freund geschenkt bekommen.

Heute weiß ich, dass 1973 die Rolling Stones aus Bill Wyman, Charlie Watts, Mick Jagger, Keith Richards und Mick Taylor bestanden haben. Mick Taylor ersetzte Brian Jones an der Gitarre, nachdem dieser dummerweise in seinem Swimming Pool ertrunken war und wurde seinerseits wiederum von Ron Wood ersetzt. Bill Wyman ging und Darryl Jones kam als Bassist, wobei letzterer fast nie auf den Promotion-Fotos auftaucht. Ist halt eine andere Marketing-Strategie heutzutage. Nein, Stop: Stones-Kenner erinnern sich an Ian „Stu“ Stewart, der immerhin 25 Jahre das Piano bei den Stones – im Studio und Live – bedient hatte und für die Öffentlichkeit kaum erlebbar war. 1985 ist er gestorben. Aber zurück zur Geschichte – Stones hin, Stones her: Nach diesen 2 Wochen eröffnet mir also mein damaliger Guitar-Hero, dass er keine Zeit mehr hätte mich weiter zu unterrichten. Ich musste mir also wieder 2 Tränen verkneifen und wollte enttäuscht abziehen, als er mir noch einen „Fresszettel“ mit einer Adresse und den Worten in die Hand drückte: Probier es mal bei dem, der spielt auch ganz gut Gitarre. (In Wahrheit spielte er besser als der „Angeblich-wenig-Zeit-Habende“, weil authentischer, mit mehr „Feeling“, wie wir Schwaben sagen).

Einige Tage später ging ich also mit dem Zettel in ein Wohngebiet, relativ neu gebaut, damals, und klingelte an einem typischen Reihenhaus: Quadratisch, praktisch, gut vielleicht nicht, aber bezahlbar für die Arbeiterklasse. Auf einer Seite war komplett überhaupt nicht einmal der Ansatz eines Fensters zu verzeichnen. Die Wand ragte wie bei einer mittelalterlichen Trutzburg stolz über den handtuchgroßen „Garten“, welcher eigentlich ein Rasen mit 2 bis 3 potthässlichen 0815-mäßigen Heckenstauden war. Ich klingelte noch einmal und die Haustür ging auf. Heraus kam der moderige Geruch eines Kellers, vermischt mit dem Geruch von Tabakrauch. Ein Typ stand in der Tür mit richtig langem und somit in den frühen 70ern topaktuell-mega-ultra-voll-fett-cool-endgeilen, dichten blonden Haaren, einer alten Jeans (Levis, das war wichtig, unten weit – mit Schlag also) und einer Zigarette im Mundwinkel..

Er sagte: Tag, ich bin der Robbie. Ein Lächeln ging über mein Gesicht.